5 kritische Klima-Kipppunkte: Wie geht es weiter?

Der Klimawandel verändert die Welt – teilweise unumkehrbar. Wie viel Zeit bleibt noch zum Umdenken, bevor das Klima kippt, und auf welche neuen Realitäten müssen wir uns einstellen?

Schon jetzt sind die Folgen der globalen Erderwärmung – derzeit etwa 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter – deutlich spürbar. Darüber hinaus beginnen sich Teile des Erdsystems radikal zu verändern. Mehr als hundert Forschende aus aller Welt und aus zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen kommen zu dem Ergebnis, dass einige dieser Kipppunkte schon erreicht sind oder sehr kurz bevorstehen.

Aus wissenschaftlicher Sicht steht fest: Um solch große Umbrüche noch zu verhindern, führt an einer kompletten Reduzierung der Emissionen und dem Entfernen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre kein Weg mehr vorbei. Wir stellen fünf kritische Klima-Kipppunkte aus dem aktuellen „Global Tipping Points Report 2025“ vor. LMU-Forschende erklären, wie wir mit einem instabiler werdenden Klimasystem umgehen können.

#1 Amazonas-Regenwald stirbt ab

Auf diesem Foto vom 28. November 2019 zerstört ein Feuer ein Gebiet neben dem Amazonas-Regenwald entlang der Straße BR-163 in Itaituba, Bundesstaat Pará, Brasilien.
© picture alliance/AP Images | Leo Correa

Dem tropischen Regenwald im Amazonasbecken macht eine Kombination aus direkter Zerstörung und klimawandelbedingter intensiver Trockenheit zu schaffen. Dabei spielt die Erwärmung des Oberflächenwassers im tropischen Pazifik und Atlantik eine wichtige Rolle. Der Kipppunkt für ein großflächiges Absterben des Amazonas-Regenwalds liegt nach wissenschaftlicher Einschätzung bei etwa 3,5 °C globaler Erwärmung (zwischen 2 und 6 °C). Dabei ist jedoch seine Abholzung nicht mitberücksichtigt. Bezieht man diese mit ein, liegt die Grenze wahrscheinlich deutlich niedriger.

Auf dem Spiel steht nicht nur ein Hotspot der Biodiversität, sondern auch ein Ökosystem, das selbst erheblichen Einfluss auf das Weltklima hat. Auch deswegen ist es sehr wichtig, den noch vorhandenen Regenwald vor Abholzung zu schützen und verlorene Gebiete wieder aufzuforsten. Eine globale Aufgabe, denn neben der Gier nach edlen Tropenhölzern werden Flächen auch für den Anbau von anderen Produkten gerodet, die in alle Welt gehen.

Prof. Julia Pongratz

Julia Pongratz | © LMU

LMU-Klimaexpertin Julia Pongratz:

»Ein anschauliches Bild für seine Klimawirksamkeit in der Region sind die fliegenden Flüsse, über die der Amazonaswald mit seiner enormen Verdunstungsleistung zum Feuchtetransport ins Landesinnere beiträgt.

Aber auch für das globale Klima ist er zentral: 120 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, also mehr als das Zehnfache der jährlichen fossilen Emissionen weltweit, stecken allein in seiner Biomasse.

Mit Sorge beobachten wir Forschenden deshalb, dass sich in den letzten Jahren schon einige Teile des Amazonas durch Entwaldung und Dürren zu einer Quelle von CO2 entwickelten.«

Julia Pongratz ist Professorin für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der LMU sowie Mitglied im Expertenrat für Klimafragen und im Wissenschaftlichen Beirat für Natürlichen Klimaschutz.

#2 Permafrost taut und Gletscher schmelzen

Morteratschgletscher, Berninagruppe mit Piz Bernina, Bernina, Engadin, Kanton Graubünden, Schweiz
© IMAGO / imagebroker / Robert Haasmann

Der Kipppunkt für das Auftauen der Permafrostböden an Land wird bei 1,5 °C globaler Erwärmung verortet und ist vermutlich schon erreicht. Besonders betroffen sind die Permafrostböden im Norden Eurasiens und Nordamerikas. Kritisch: Tauender Permafrost setzt Treibhausgase frei und fördert damit wiederum das Voranschreiten des Klimawandels. Der Kipppunkt für das vollständige Abschmelzen von Berggletschern liegt vermutlich bei 2 °C globaler Erwärmung, wobei auch individuelle Faktoren wie das örtliche Mikroklima die Schmelze eines Gletschers beeinflussen.

Weil Gletscher den lokalen Wasserhaushalt prägen und im Zusammenspiel mit Permafrost die Stabilität von ganzen Bergen gewährleisten, müssen sich viele Menschen auf radikale Veränderungen und größere Naturgefahren einstellen. Gerade in dicht besiedelten Regionen wie den Alpen werden bereits Schutzbauten und Frühwarnsysteme notwendig.

Ralf Ludwig | © privat

Ralf Ludwig, Chief Sustainability Officer der LMU:

»Die positive Rückkopplung zwischen tauendem Permafrost und globaler Erwärmung durch zusätzliche Emissionen wird in aktuellen Klimamodellen oft (noch) nicht berücksichtigt. Dabei verringert sich dadurch das noch freie Emissionsbudget zur Erreichung der COP-Klimaziele erheblich.

Im Gebirge führt das Auftauen von Permafrost zu einer signifikanten Verringerung der Hangstabilität, da eisgefüllte Klüfte und Bindestrukturen im Gestein an Festigkeit verlieren. Dadurch nehmen Häufigkeit und Intensität von gravitativen Massenbewegungen, wie Fels- und Bergstürze, spürbar zu.

Wir erforschen mit großen Klimamodellensembles, hochauflösenden Wirkungsmodellen und Methoden der Umweltfernerkundung die dynamischen, nicht-linearen Veränderungen der Kryosphäre. Wir untersuchen, wie die komplexen Prozesse ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken können und mit welchen konkreten Folgen lokal und regional gerechnet werden muss.

Auf dieser Grundlage entwickeln wir mit Praxispartnern robuste Empfehlungen zur Anpassung und unterstützen damit ein vorausschauendes, langfristig angelegtes und integratives Risikomanagement.«

Ralf Ludwig ist Professor für angewandte Physische Geographie und Chief Sustainability Officer der LMU.

#3 Tropische Korallenriffe verschwinden

Taucher über gebleichter und absterbender Acropora-Koralle
© IMAGO/Depositphotos

Immer öfter verursachen zu hohe Wassertemperaturen Korallenbleichen, bei denen die Nesseltiere ihre auf Dauer lebenswichtigen Algensymbionten abstoßen. Die Häufigkeit und Länge dieser Hitzewellen macht es den Baumeistern tropischer Korallenriffe inzwischen schwer, sich zu regenerieren, und so werden diese artenreichen Ökosysteme wohl unaufhaltsam verschwinden. Forschende nehmen an, dass der Kipppunkt bei 1,2 °C globaler Erwärmung liegt – und damit bereits deutlich überschritten ist.

Trotzdem könnten wir dem noch etwas entgegensetzen und zumindest Zeit gewinnen: Neben dem Kampf gegen die weitere Erwärmung der Meere durch konsequenten Klimaschutz gilt es, andere anthropogene Stressoren zu reduzieren – vor allem Wasserverschmutzung und Überfischung. Denn der Bau künstlicher Riffe als Küstenschutz, Fischhabitat und Tauchrevier wird dieses Ökosystem nie gänzlich ersetzen können.

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2:16 | 13.11.2025

#4 Polare Eisschilde schmelzen ab

Stadt Cao Bang, Cao Bang, Vietnam Luftaufnahme der überfluteten Stadt mit bunten Häusern entlang eines gewundenen Flusses. Stadt Cao Bang, Cao Bang, Vietnam
© Connect Images

Zumindest einigen Gebieten, die heute noch von „ewigem“ Eis bedeckt sind, stehen große Umbrüche bevor: Der Kipppunkt für das Abschmelzen einiger polarer Eisschilde wird auf etwa 1,5 °C globaler Erwärmung geschätzt und wäre damit schon erreicht. Besonders nah am Kollaps befinden sich der Grönländische und der Westantarktische Eisschild. Dadurch droht langfristig ein weiterer deutlicher Anstieg des Meeresspiegels, der schon jetzt vielen Küstenregionen Probleme bereitet.

In den Niederlanden erhöht man bereits Deiche, um noch einigen weiteren Metern gewachsen zu sein. Obwohl Menschen dem Meer schon seit Langem mit solchen Bauwerken und der anschließenden dauerhaften Entwässerung von Flächen Land abringen, hat auch das technische und finanzielle Grenzen. Viele Inseln und Staaten stehen daher langfristig vor der Perspektive, ganz oder in Teilen unbewohnbar zu werden.

Matthias Garschagen | © LMU

LMU-Klimaforscher Matthias Garschagen:

»Küstenstädte sind in besonderem Maße vom steigenden Meeressspiegel und einer Zunahme von Stürmen und Hochwasserereignissen betroffen. Eine tiefgreifende und rasche Anpassung ist daher erforderlich, nicht nur im staatlichen Zivil- und Küstenschutz, sondern auch in der Raumplanung oder der privaten Risikovorsorge.

Gleichzeitig zeigt eine jüngst von uns geleitete globale Studie, dass derzeitige Anpassungsbemühungen in Küstenstädten noch nicht ausreichen, um die wachsenden Risiken effektiv zu mindern. Dies gilt in besonderem Maße für ressourcenschwache Städte im globalen Süden wie etwa Lagos, Manila oder Jakarta.

Um Küstenstädten auch weiterhin eine Entwicklung zu ermöglichen, bedarf es daher sowohl eines umfassenden Klimaschutzes zur Begrenzung des Klimawandels als auch einer beschleunigten Anpassung zur Steigerung der Resilienz.

Im Weltklimarat (IPCC) evaluieren wir daher derzeit mögliche Maßnahmen zur städtischen Emissions- und Risikoreduzierung. Die Ergebnisse werden im Spezialbericht zu Städten und Klimawandel vorgestellt.«

Matthias Garschagen ist Professor für Anthropogeographie mit dem Schwerpunkt Mensch-Umwelt- Beziehungen an der LMU und Hauptautor im Weltklimarat IPCC.

#5 Meeresströmungen kommen zum Erliegen

Ein Blick auf den Gletscher während der 9. Nationalen Antarktis-Expedition, die unter der Schirmherrschaft der Präsidentschaft, des Ministeriums für Industrie und Technologie und unter der Koordination des TUBITAK MAM Polar Research Institute in der Antarktis am 6. März 2025 stattfindet.
© picture alliance / Anadolu | Sebnem Coskun

Der Klimawandel verändert das globale Netz von Meeresströmungen. Schon jetzt schwächt sich der Nordatlantische Subpolarwirbel (SPG) messbar ab und Forschungsergebnisse deuten bei der Atlantischen Umwälzströmung (AMOC) auf Ähnliches hin. Sie bringt als Verlängerung des Golfstroms nicht nur Wärme nach Europa, sondern hat generell großen Einfluss auf das globale Wettergeschehen und wirkt sich zudem auf zahlreiche andere Klima-Kipppunkte aus.

Forschende nehmen an, dass der Kipppunkt bei 2 °C globaler Erwärmung liegt, können aber auf der bisherigen Datengrundlage nicht ausschließen, dass er früher erreicht wird oder vielleicht sogar schon überschritten ist. Um die komplexen Modelle und Vorhersagen zu präzisieren, werden unbedingt mehr Messdaten benötigt, etwa aus der Tiefe des Meeres sowie Langzeitmessungen. Angesichts der globalen Bedeutung von Meeresströmungen wie der AMOC ist diese Forschung immens wichtig.

Prof. Dr. Alexander Haumann in der Antarktis

Alexander Haumann | © Haumann

LMU-Ozeanograph Alexander Haumann:

»Derzeit gibt es immer mehr wissenschaftliche Studien, basierend auf Beobachtungsdaten und Modellstudien, die darauf hinweisen, dass sich die Tiefenzirkulation im Nordatlantik und im Südlichen Ozean massiv abschwächen könnte.

Eine großräumige Reorganisation der Ozeanzirkulation würde auch massive regionale Klimaveränderungen mit sich bringen. Insbesondere in Europa würde eine Abschwächung der AMOC zu einer erheblichen Abkühlung in den Wintermonaten führen.

Allerdings gibt es in Modellsimulationen noch große Unsicherheiten, ob und wie stark sich die AMOC abschwächen könnte und was die Konsequenzen wären. Das Risiko steigt allerdings mit weiteren CO2 Emissionen und es ist ein Risiko, das wir nicht eingehen sollten.«

Alexander Haumann ist Professor für Physische Geographie mit Schwerpunkt Ozeanographie an der LMU und dem Alfred-Wegener-Institut.

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